Ein Tag in der Döberitzer Heide

Am 09.09.2021 fand eine Exkursion der DJN-Ortsgruppe Berlin/Brandenburg in die Döberitzer Heide statt. Es ist der älteste ehemalige Truppenübungsplatz in Deutschland. Der größte Teil wird sich selbst überlassen und in einem abgesperrten Bereich (Wildniskernzone) mit Wisenten und Wildpferden gepflegt. Ein Botaniker der Heinz-Sielmann-Stiftung, die die Fläche naturschutzfachlich betreut, begleitete uns bei der Exkursion. Da unsere Gruppe so bunt gemischt war, starteten wir mit einer Vorstellungsrunde.

Kurz hinter dem Parkplatz trafen wir auf die erste besondere Art, mit der niemand gerechnet hatte: der Sandohrwurm. Er ist unsere größte heimische Ohrwurmart und braucht großflächig unbewachsene Lebensräume, er ist ein Pionier mit weltweiter Verbreitung (natürlicherweise, nicht durch Menschen). Eigentlich an Küsten und Flussufern zuhause, nimmt er auch Kiesgruben oder Truppenübungsplätze an. Da das Tier normalerweise in seiner Wohnröhre unter dem Sand verborgen ist, bekammt man es selten zu Gesicht.


Sandohrwurm

Auf dem Weg zum Treffpunkt mit unserem Exkursionpartner von der Sielmann-Stiftung, teilte sich unsere Gruppe bereits auf: Einige blieben hinten an und kescherten energisch die Besenheide-Bestände ab, da sie auf die Heide-spezifischen (nur an Heide sammelnden) Bienenarten aus waren: Heide-Sandbiene und Heide-Seidenbiene.
Diese wurden auch prompt gefunden, sowie etwas später dann die dazugehörigen Kuckucksbienen, welche entsprechend noch seltener sind.

Auf dem Weg zum Pausenplatz ereignete sich ein Fund, auf den wir sehr gehofft hatten: die Männchen der Roten Röhrenspinne.


Männchen der Roten Röhrenspinne

Die seltene Röhrenspinne lebt versteckt in in trocken-warmen Lebensräumen und jetzt im Spätsommer/herbst laufen die auffällig gefärbten Männchen umher, auf der Suche nach den Netzen der Weibchen. Der englische Name ladybird spider kommt nicht von ungefähr: die Färbung der erwachsenen Männchen ist den schlecht schmeckenden Marienkäfern nachempfunden. Werden sie gestört, so drohen sie zusätzlich mit aufgestelltem Hinterleib und erhobenen Beinen.


in Drohhaltung mit aufgestelltem Hinterleib

Keine echte Spinnen, jedoch Spinnentiere, sind die Weberknechte. In Ostdeutschland ausgeprochen häufig ist der Große Sattelkanker, ein Vertreter der eher kurzbeinigen Weberknechte und dadurch plump wirkend. Einige der Exkursionsmitglieder pulten Rinde vond en Bäumen und weckten somit eine kleine Schlafgesellschaft:


Schlafgesellschaft des Großen Sattelkankers (Ausschnitt)

Während der Mittagspause drehte es sich überwiegend um ein ganz anderes Thema: Einige schwärmten aus, um Pilze fürs Abendessen zu sammeln, andere widmeten sich den Moosen. Ein besonderes Moos-Highlight war dort das Koboldmoos mit skurriler Lebensweise, welche noch nicht ganz klar ist. Zu sehen bekommt man nur die Sporenkapseln, bei unserer Sichtung waren sie noch vorhanden, obwohl sie fast 8 Monate alt sind.

Ein anschauliches Beispiel aus der Pilzkunde war der Gallenröhrling. Die Art lässt sich oberflächlich mit dem Steinpilz verwechseln. Mit der Zunge jedoch kurz an den Röhren geleckt, offenbart sich der extrem bittere Gechmack, welcher beim Steinpilz zum Glück fehlt.

Überall in der Heide wimmelte es vor Heuschrecken. Besonders auffällig sind die Blauflügelige Ödlandschrecke und die Italienische Schönschrecke, mit rosa Hinterflügeln. Letztere konnte sich Dank des Klimawandels in den letzten Jahren enorm ausbreiten.

Blauflügelige Ödlandschrecke (nur beim Auffliegen zeigen sich die auffällig blauen Hinterflügel, die potentielle Fressfeinde verwirren sollen)

Ein ständiger Begleiter auf unserem Weg waren Pfützen, welche sich dank der verdichteten Panzerfahrspuren lange halten. Sie sind von Urzeitkrebsen bevölkert, welche ein weiteres Ziel unserer Exkursion waren. Diese urtümlichen Gesellen haben sich im Laufe der Zeit kaum verändert und leben nur in temporären Gewässern. Die Zeit ohne Wassser überstehen die extrem widerstandsfähigen Eier. Dabei sind sogar mehrere Jahre Trockenheit kein Problem. Auch Durchfrieren stellt kein Hidnernis dar, Lebensraumzerstörung dagegen schon (Einebnen von Äckern oder Asphaltieren von Wegen). In der Döberitzer Heide leben der Sommer-Rückenschaler (oder Triops, im Bild links) und der Sommer-Feenkrebs (im Bild rechts). Mit etwa acht Zentimetern kann der Sommer-Rückenschaler recht groß werden. Diese Arten kommen bei uns fast nur noch auf ehemaligen Truppenübungsplätzen vor. Eine Ausbreitung über die Millitärfahrzeuge liegt da sehr nahe. Eine andere Ausbreitung könnte auch über Weidetiere erfolgen: Vor uns passierte eine gigantische Schafherde den Weg, welche die Pfützen natürlich zum Trinken nutzten. Selbst eine Darmpassage überstehen die Urzeitkrebs-Eier.



In dieser unscheinbaren Pfütze leben die seltenen Urzeitkrebse

In der weiteren Umgebung gab es reichlich Ginster, die einzige Nahrungspflanze der Ginsterzikade. Sie ist eine der wenigen Zikadenarten, die sich einwandfrei im Gelände bestimmen lassen.


Ginsterzikade

Botanisch begeisterte uns die Rote Schuppenmiere, sowie der Vogelfuß, eine Erbsen-Verwandte, deren Früchte wie Vogelzehen aussehen.

Rote Schuppenmiere (Spergularia rubra)

Auf Wunsch unseres Begleiters von der Sielmann-Stiftung konnten wir auch den „Sandfarbenen Schuppenmierenrüssler“ für die Döberitzer Heide nachweisen. Der kleine Rüsselkäfer lebt an der Roten Schuppenmiere. Um das Tier zu finden, muss man sich zuerst in seine kleine Welt begeben, indem man sich auf den Boden legt. Dann kann man die Schuppenmieren vorsichtig durchsuchen, wobei sich die Käfer meist in den Sand fallen lassen, wo sie hervorragend getarnt sind. Weil die Pflanze so klein und bodennah wächst, lässt sich der Käfer nicht auf üblichem Wege durch auskeschern oder ausklopfen der Vegetation nachweisen.

Den Abschluss bildete eine Rast in einem Unterstand, in dem noch viele Insekten gefunden wurden, so z.b. massenhaft der Schneckenhaus-Sackträger und viele Feldwespen-Nester.

Last but not least: Viele vermissen vielleicht den Schwerpunkt Ornithologie im Bericht: Wiedehopf und Steinschmätzer zeigten sich nicht, dafür aber konnten die Kolkraben mit tollen Flugspielen aufwarten.

Dieser sehr erfolgreiche Tag zeigte uns einmal mehr, wie extrem vielseitig die DJN-Exkursionen sind, keine Artengruppe wird ausser Acht gelassen. Vielen Dank an die Heinz-Siemann-Stiftung für die Unterstützung der ereignisreichen Exkursion.


von Jonathan Neumann

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